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Märkische Allgemeine › Potsdam
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27.07.2004
10 000 Kilometer allein durch Amerika
Lehrer aus Potsdam auf Bildungsabenteuer / Bemerkenswertes, Erstaunliches
und Gewöhnliches im Tagebuch
Thomas Kühnl setzte ein Testament auf, vermietete seine Wohnung
und flog mit einem extra für ihn von der Räderei am Kanal zusammengebauten
Rad mit stabilem "Steppenwolf"-Rahmen nach Amerika. Der Potsdamer
Geographielehrer erfüllt sich mit der zwölfmonatigen 10 000-Kilometer
Tour von Alaska nach Panama einen Traum und berichtet exklusiv für
die MAZ von seiner Expedition.
Bis zum 1. Tag (29.6.) Zwei mal 34 Kilogramm Gepäck
habe ich frei. Mit meinen beiden leichten Vietnam-Taschen liege ich gut
im Limit, doch da ist ja noch das Rad und damit ein drittes Stück.
Das soll 134 Euro kosten. Das sehe ich nicht ein, also suche ich einen
großen Karton. Das Fundbüro der Lufthansa hilft. Alles geht
glatt. Verspätung in Amsterdam. Im Dauerlauf erreiche ich dann den
Schalter: Keine großen Kontrollen dort, nur die Lichtschranke, das
war es? So schnell kommt man in die USA!
Die Angst vor dem Umsteigen in Minneapolis stellt sich als unbegründet
heraus. Ich muss meine Geschichte in einem extra Raum zum Besten geben
und bekomme zu meinem Erstaunen eine Aufent haltserlaubnis bis Ende Januar,
also sieben statt sechs Monate. Es folgt die erwartete Kontrolle. Sogar
die Schuhe werden untersucht und alle Gepäckstücke nach Sprengstoff.
Der Beamte ist nett und sehr besorgt um meine Sachen. Leider muss er mir
jedoch ein Werkzeugtool abnehmen. Er hätte es mir auch nach Hause
geschickt oder zu einer Adresse in den USA. Ich verzichte darauf.
Der Flug nach Anchorage und der Empfang des Gepäcks dort verlaufen
problemlos. Um 1.45 Uhr bin ich fertig, das Rad ist gepackt und ich merke:
Es ist zu viel! Zehn Minuten später radle ich los, es ist fast taghell,
Temperatur 16 Grad Celsius.
30. Juni Gegen 9 Uhr melde ich mich an und kann gleich
die Chance nutzen, drei Stunden für den Lohn einer Übernachtung
zu arbeiten. Mein erster Job! Weniger erfolgreich ist der Versuch, ins
Internet zu gelangen. Ich benötige einen extra US-Zugang.
1. Juli Im WalMart gibt's fast alles: Spray gegen Mücken
mit 100-prozentigerTötungsformel, eine Sonnenbrille, ein Telefonkabel
für den Laptop. Mit Hilfe des Hostel-Besitzers Bill bin ich endlich
online und kann erste Fotos schicken!
2. Juli Es ist schwierig, den Weg aus der größten
Stadt Alaskas zu finden. Immer wieder sind die Straßen für
Fahrräder gesperrt, doch auf dem alten Seward Highway bin ich richtig.
Am Fjord entlang fahrend merke ich: Die Differenz zwischen Meilen und
Kilometer (km) beträgt das 1,6-fache. Da werden es schnell mal über
200 km bis zum Ziel. Ich muss mich auch daran gewöhnen, dass meilenweit
keine Ortschaft auftaucht. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut im Fjord
beträgt bis zu elf Metern. Die Bergketten wollen nicht enden und
der Schnee im Sommer lässt nur erahnen, wie es hier im Winter aussieht.
Nach 50 Kilometern taucht die erste Tankstelle auf, und für mich
ergibt sich ein neues Problem. Wie bekomme ich ein Liter Benzin für
einen Dollar, wenn nur Kreditkarten angenommen werden? Der Tankautomat
denkt doch, ich spinne. Genau so schauen mich die Angestellten im Laden
an. Benzin in diesen Kocher? Der fliegt doch in die Luft. Ein netter Herr
lässt sich überreden und gibt mir einen Liter ab.
Um 18.40 Uhr, nach 106,75 Kilometern und sechseinhalb Stunden im Sattel,
ist der erste Tag geschafft. Ich teile mir mit einem Biker aus Japan den
Platz und bezahle deshalb nur fünf Dollar. Die abgesteckten Felder
sind riesig, und wie viele Zelte darauf stehen, ist egal.
3. Juli Die Strecke zieht sich durch die Berge, vorbei
an Gletschern, Seen und über Flüsse. Ab und zu sehe ich die
Strecke der Alaska Railway, die in Seward beginnt. Regen und Sonne wechseln
sich ab. Nach 103 Kilometern und über sechs Stunden sitze ich frisch
gebadet (im eiskalten Wasser) bei Bier und Hamburger am Lagerfeuer in
Alaska. Dazu die Gipfel ringsum und ein rauschender Bach. Die Gespräche
ranken sich um das bevorstehende Rennen. Es geht 3022 Fuß nach oben
und wieder hinunter. Insgesamt 3,4 Meilen. Der Rekord bei den Männern
liegt bei 43:23 Minuten und bei den Frauen bei 50:30. Zuerst starten die
50 Besten vom letzten Jahr, dann 300 übrigen Teilnehmer am Tsunamirennen.
4. Juli Seward ist für seinen Fischfang berühmt.
In der einzigen Fabrik werden täglich 350 000 Pfund Fisch verarbeitet.
Bis zu 300 Arbeiter schaffen täglich 15-18 Stunden. Sie leben in
alten Wohnwagen und Zelten gleich nebenan. Auf den Booten ist die Arbeitszeit
mit 20 bis 25 Stunden nicht angenehmer. Hauptattraktion ist jedoch die
Möglichkeit, ab 60 Dollar selbst auf Fang zu gehen. Die Fische werden
im Hafen ausgestellt, fotografiert und ausgenommen. Alles im Preis inbegriffen.
Heute ist aber Feiertag und das Rennen mit Tausenden Zuschauern. Die Sieger
schafft zwar keinen neuen Rekord - es fehlen 15 Sekunden -, aber im Ziel
bekommt er von einer Frau eine deutsche Fahne, die er schwingt und gleich
wieder verschwinden lässt. Die Läufer kommen völlig verdreckt
und blutig an, aber die meisten sind guter Dinge.
Ein schöner Tag mit viel Patriotismus und gutem Sport geht zu Ende.
Es ist mal wieder nach Mitternacht...
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