Fahrradschieben gegen den Autostrom
Ersatzteile aus Potsdam / 5000 Kilometer unterwegs
mit einem Schweizer / Wundervolles San Francisco
Ich verlasse Vancouver mit einem reichlichen Frühstück,
aber bange vor dem Verkehr der Riesenstadt. Viele
Straßen, Tunnel oder Brücken sind für Radler gesperrt:
ich muss 25 Kilometer mehr fahren, weil 800 Meter
Tunnel für Radler gesperrt sind.
Der einzige Weg nach draußen führt über die Alex-Fraser-Bridge,
die den Fraser River überspannt. Eine gewaltige Spannkonstruktion;
mein Radcomputer zeigt 105 Meter Höhe an. Die Zufahrt ist kompliziert
beschildert; oft muss man die mehrspurige Fahrbahn queren. Zu allem
Übel ist der Fuß- und Radweg mit Mauer und Geländer
von der Fahrbahn getrennt, auf der ich angefahren komme. Also schiebe
ich gegen den Autostrom zurück, um den Eingang zu suchen. Der
weitere Weg ist dann toll ausgeschildert; Autofahrer werden aufgefordert,
auf Radler zu achten.
Es ist schön, wenn einem geholfen wird: Schwalli kannte ich
nur aus dem Radforum (www.rad-forum.de); er bot mir gleich ein Bett
und seine Werkstatt im Keller an. Die Ersatzteile aus Potsdam sind
da und werden montiert; die Abfahrt aus Victoria beginne ich mit
neuer Kette, neuen Bremsbelägen und neuen Reifen.
Die Fähre soll mich in die USA bringen, diesmal sieht es schon
besser aus mit der Grenzsicherheit. Man nimmt Foto und Fingerabdrücke.
Ich erreiche die Straße 101, die mich auf die Idee der Reise
gebracht hat und mich nach Mexiko führen soll.
Regen, Regen, Regen!!! Alles nass einpacken, ist nicht schön,
und nach zwei Stunden ist auch die Regenjacke durch. Kälte
dringt tief in den Körper; die Zeltplätze sind fast alle
zu. Es dürfte nicht viele Verrückte in diesen Wäldern
geben außer mir und Stefan, dem Schweizer, der seit 5000 Kilometern
mal vor und mal hinter mir ist. Unter einem Schutzdach treffe ich
ihn wieder; er trocken und heute noch keinen Meter auf dem Rad,
ich nass wie ein Pudel. Zehn Minuten später sitzen wir wieder
auf dem Rad, doch weit kommen wir nicht. Eine Frau im Jeep hält
uns an und fragt, ob einer von uns am letzten Café angehalten
hat und eine trockene Unterkunft suchte. "Natürlich, ich!"
Sie ist mich extra suchen gefahren und lädt uns zu Kaffee,
Kuchen, warmer Suppe ein und einer Gratis-Unterkunft. Doch wir wollen
weiter. Später nehmen wir uns ein Zimmer in einer Taucherunterkunft
am See, die nur uns beherbergt; wir trocknen.
Nach dem nassen Bundesstaat Washington sind wir froh, Oregon zu
erreichen. Wir haben zuletzt sehr viel kostenlos übernachtet:
auf Bauernhöfen, neben einer Trafostation, auf dem Parkplatz
einer christlichen Begegnungsstätte, in Dünen, auf Raststätten
, in Toilettenhäuschen oder zehn Meter neben der Straße
im Wald.
Wir kommen gut voran; die Küste ist ein Traum: Felsen im Sonnenschein
oder Nebel, Seelöwen, Robben. Wir treffen noch Verrücktere
als uns: einen Japaner mit einem riesigen Gitarrenständer auf
dem Rad. Joky ist seit zweieinhalb Jahren on Tour von Alaska nach
Feuerland und zurück, teils im Flieger, teils per Rad. Er hat
als Musiker 60 000 Dollar gespart und 20 000 ausgegeben.
Wir verpassen die Umstellung auf Sommerzeit, frieren in den kalten
Abfahrten und schwitzen in den kurzen Anstiegen, fahren mit Plakaten
für Kerry in den Wahltag und erleben verständnislos, wie
Bush wieder gewinnt.
Kalifornien erwartet uns mit vielen Hügeln und unfreundlichen
Menschen. Viele Leute sind misstrauisch. Die Gegend scheint beliebt
bei "Heimatlosen" zu sein, die in den Wäldern leben.
Uns erwartet aber auch der Redwood Forest, die Avenue der Giganten.
Bäume, über 100 Meter hoch, dick und wahnsinnig viele.
Da fällt es kaum auf, wenn die Regierung hier eines der größten
Holzwerke betreibt und die Transporter Tag und Nacht unterwegs sind.
Und in den Wäldern liegen Marihuanafelder! Vielen Menschen
sieht man den Gebrauch an: Überall in den Wäldern stehen
alte Campmobile, Hütten und Wohnwagen, in denen Leute leben
und kiffen.
Wir nehmen einen Nebenweg der so genannten "Lost Coast".
Die Sand- und Lehmpiste mit Anstiegen bis zu 20 Prozent versinkt
plötzlich in Regen und Schlamm; die Schaltung am Rad gibt auf.
Es werden die bislang schlimmsten zwei Tage der Tour, doch San Francisco
wartet im Abendlicht. Geiles Wetter, wahnsinniger Stolz, es geschafft
zu haben. Ein Zeppelin über der legendären Gefängnisinsel
Alcatraz. Leute gratulieren, dass wir aus Alaska hergefahren sind.
In tiefster Dunkelheit erreichen wir den Golden Gate Park und suchen
nach der Wohnung von Freunden. Gesehen habe ich die steilen Straßen
oft, aber sie hochzufahren, ist die Hölle! Ich mache erst mal
ein paar Tage Pause.
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