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04.01.2005

Die kälteste Nacht seit 1931

Grenze zu Mexiko überschritten / Panne mit einem Pferd / Wüstenstadt der Superlative

Abfahrt aus San Francisco: Willst du was erleben, nimmst du als Radler den Bus. Leider habe ich keine Buserfahrung und stehe 40 Minuten vor Abfahrt an der Greyhound Busstation und finde keinen Aufgang zur oberen Etage, wo der Bus abfährt. Es gibt nur eine Treppe und keine andere Möglichkeit, als das Bike samt Gepäck (40 Kilo) zu schultern und sich hinauf zu kämpfen. Das kostet 10 Minuten.

Ich brauche ein Ticket für mich (20 Dollar), eins für das Bike (10 Dollar) und eine Bike-Kiste für 15 Dollar. Das Ausstellen des Tickets dauert 10 Minuten; es wird eng. Mein Bus braucht aber im Unterschied zu allen anderen Bussen nur 3 Stunden, nicht 5 ½.

Drittes Problem: Die Kiste ist für ein Kinderrad gut, aber nicht für meins mit Gepäckträgern vorn und hinten. Ich werde nervös, denn es sind nur noch 10 Minuten bis zur Abfahrt. Ich baue Räder, Pedale und Lenkerhörnchen ab, es reicht nicht. Man sagt mir, der Bus werde nicht auf mich warten. Plötzlich hilft mir ein Azubi; binnen einer Minute habe ich eine riesige Kiste und das Rad verpackt.

Eigentlich wollte ich ja nach Süden, Richtung Mexiko, doch nun bin ich auf dem Weg zum Death Valley, dem zweitheißesten Ort der Welt. Bei der Anfahrt durch Täler und über Bergketten zeigt sich der Winter. Die Nacht zum 29.11. war die kälteste der Reise: 2 Grad im Zelt, das Außen- ist am Innenzelt angefroren; in der Wasserflasche haben wir Eiswürfel. Überall dicker Reif. Auf dem Golfplatz staunt man über unsere Zelte; noch nie standen hier welche.
Es kostet Überwindung, in die Radklamotten zu schlüpfen, doch in der Sonne steigen die Temperaturen schnell. Wir stellen uns bei reichlich Müsli auf den 50 Kilometer langen Anstieg nach Lake Isabella ein. Es geht durch riesige Orangenplantagen. Erstaunlich, wie voll die Bäume hängen, wie groß die Früchte sind und dass sie die Nachtfröste überstehen. Später hören wir, dass es mit -9 Grad Celsius die kälteste Nacht seit 1931 war.

Wir erreichen das Hochland um den Lake Isabella gegen 15 Uhr und suchen dringend eine warme Unterkunft. Am Einkaufsmarkt lernen wir eine ältere Frau kennen, die Geld für Kinder ärmerer Familien sammelt und uns zur Bibliothek verweist. Die ist zu, doch ein Mann hilft uns: Wir können im Büro seiner Frau ins Internet. Sie arbeitet für die Verwaltung der Gemeinde und stellt den Kontakt zur Feuerwache her: Captain Adam Graehl hilft uns Radlern. Wir können uns in der Wache aufwärmen und bekommen abends in einem Nebengebäude die Räume einer Hilfsgruppe, die sich in der warmen Saison um Buschbrände kümmert und jetzt für die Parkverwaltung des Sequoia National Forest arbeitet. Sie fahren nachts heim; wir sind allein. Dusche, Fernseher, Küche, alles beheizt.

Für den Folgetag lädt Adam uns nach Ridgecrest in sein Haus ein. Das bringt über 100 Kilometer und einen 1700 Meter hohen Pass. Am Morgen zeigt sich, dass die Nacht mit 6 Grad mild war. Noch vor ein paar Wochen hätte ich das Kälte genannt.

Wir starten gegen 8 Uhr. Bei Gegenwind und stetig bergauf erleben wir eine phantastische Landschaft: das gesamte Panamint Valley hinter uns und die Ranch in front. Genau am Eingang zum Death Valley hat Stefan den nächsten Platten, doch nach zehn gemeinsamen Erlebnissen der Art geht es sehr schnell. Einer wechselt den neuen Schlauch, der andere flickt den alten. Die Straße wird immer schlechter.

An der Kreuzung zum Wildrose Camp wird die Straße besser, aber auch steiler. Ich muss 200 Meter schieben, da meine Schaltung spinnt.

Es heißt: warm anziehen und hinunter ins Death Valley, durch den Emigrant Canyon. Steile Felsen, eine enge Straße und der Blick ins weite Tal, dazu die untergehende Sonne und das Farbenspiel. Es hat sich jeder Meter gelohnt. Plötzlich steht etwas auf der Mitte der Fahrbahn: Ein Kojote wandert gemütlich auf dem gelben Streifen entlang. Stefan holt zur Sicherheit das Pfefferspray raus. Viele Kojoten in diesem touristischen Gebiet wissen, dass es an der Straße Futter gibt. Prompt stoppt ein Mann sein Auto und gibt ihm Futter, natürlich bei laufendem Motor, nur um Fotos zu machen. Auf die Frage, warum er nicht den Motor abstellt, lacht er nur.

Wellig geht es immer am Badwater Lake entlang. Er liegt unter dem Meeresspiegel; in der Nähe befindet sich mit minus 86 Meter der tiefste Punkt der USA.

Die Straße ist komplett neu gemacht. Man sieht noch sehr gut, wie die Schlammmassen vom August sie über weite Flächen begraben hatten. Es muss der Wahnsinn gewesen sein! Man kann es sich im Angesicht der Wüste nicht vorstellen, aber wenn hier der Regen kommt, ist alles zu spät.

Auf nach Las Vegas! Wir haben nur eine Skizze und wissen, es soll richtig hoch gehen auf dem höchsten Pass der Strecke. Gleich hinter'm Hostel zieht es gleichmäßig bergan. Auf der Passhöhe von etwa 800 Metern fällt unser Blick ins nächste Tal, länger und breiter als alle Täler zuvor. Diese Weite! Kein Wunder, dass vielen Amerikanern Europa und der Rest der Welt sehr fern ist.

Die Abfahrt führt ins Endlose und ist von roten Felsen und Kakteen gesäumt. Wir suchen einen Platz zum Abend, stellen die Zelte zwischen den Kakteen in einem ausgetrockneten See auf.

Immer wenn man denkt, es kann nicht verrückter kommen, kommt es anders: Auf dem Weg zu Rasthaus begegne ich drei Reitern, von denen der älteste (72 Jahre) von meinem Nummernschild so begeistert ist, dass er ein Foto möchte. Ich gebe ihm mein Rad, helfe ihm drauf, und schon klicken die Kameras. Seine Idee, mich mit seinem Hut aufs Pferd zu setzten, finden alle originell. Nur das Pferd nicht. Erst lachen wir, dann sehen wir die Bescherung. Mein Hinterrad ist eine Acht, der Lenker verbogen; die Taschen sind abgerissen. 7800 Kilometer keine einzige Speiche gebrochen und nun das! Also alles in den Pferdetrailer und ab zum Fahrradladen nach Blue Diamond. Doch das Rad ist nicht zu reparieren. Eine neue Felge gibt es nur mit 32 Speichen, ich benötige jedoch 36. Also fahre ich mit Lloyd nach Las Vegas, um eine Felge zu kaufen. Da habe ich einen Umweg von fast 1000 Kilometern gemacht und nun komme ich mit dem Auto in die Wüstenstadt!

Am nächsten Tag ist das Rad wieder einsatzbereit. Da es Wochenende ist und dann die Preise um das Drei- bis Vierfache steigen, warten wir noch einen Tag und zelten die nächste Nacht auf einem Hügel über Las Vegas. Jede Minute startet oder landet ein Flugzeug. Immerhin muss alles hier in die Wüste transportiert werden, und jedes Wochenende kommen 200 000 Besucher. In der Woche kann man jedoch für 20 Dollar zu zweit gut übernachten und bekommt auf Grund der Angebote in den Casinos Essen und Trinken fast umsonst.

Die Superlative überschneiden sich: Neun der zehn größten Hotels der Welt, die höchste Achterbahn der Welt auf einem Hoteldach, die hellste Glühlampe der Welt und immer wieder Casinos und Spielautomaten. Nach drei Tagen will man nur weg.

Ich fahre noch zum Grand Canyon und nach San Diego, um dort Weihnachten und Silvester zu verbringen. Dann geht es in eine neue Welt: Lateinamerika.