ROBERT RUDOLF
Die windzersausten Ebenen Patagoniens – Sehnsuchtsort am
Südzipfel des amerikanischen Kontinents seit den Reiseberichten
des Weltenbummlers Bruce Chatwin. Das wäre es noch gewesen!
Aber soweit wollte Thomas Kühnl denn doch nicht. In Panama-City
war Schluss mit der Amerika-Radtour. So wie geplant.
In Potsdam und Berlin warteten Verpflichtungen auf den 40-Jährigen:
Die 14-jährige Tochter, die Freundin, der Job als Geographie-
und Sportlehrer an einer Privatschule.
Vor fast einem Jahr war Kühnl mit dem Fahrrad allein in Alaska
gestartet, zuletzt mit einem Schweizer unterwegs. Als sich die Wege
trennten, war beiden unwohl: „Der fährt weiter zur Südspitze“,
dachte Kühnl. „Der hat die elenden Strapazen hinter sich“,
wusste der Schweizer.
Über Kühnls Bett hängen zwei Landkarten, eine von
Nord- und eine von Südamerika. Die Sehnsucht also bleibt. Mit
50 will er nochmal so eine Tour wagen.
Die Route, die er wählte, war eher leicht, räumt er jetzt
ein: Das südafrikanische Kapstadt hatte er mal als Ziel erwogen,
verwarf es aber genauso, wie Marco Polos Reiseweg nach Asien zu
verfolgen. Die vielen Visa, die fremden Sprachen, das quälende
Klima – das alles sprach dagegen. Anstrengend genug war Amerika
auch so. Wenn der Wind von vorn zerrte – und das schien immer
der Fall – fragte er sich oft: „Wozu machst Du das eigentlich?“
Heute mag er das nicht mehr hören, so oft wurde er das gefragt
auf Rastplätzen. „Für mich selbst“, gab er
den verdutzten Amerikanern zur Antwort. „Für die musste
alles irgendeinen Nutzen haben, die wollten mir dauernd Geld geben,
weil sie dachten, ich mache das für ein Projekt“, erzählt
Kühnl mit einem Kopfschütteln.
Sorgen, das Geld könnte nicht reichen, machte er sich nicht.
Extremradfahrer seien verschrobene Typen, die vor allem „geizig
zu sich selbst sind“, sagt Kühnl. Auf den endlos langen
und einsamen Strecken zählte er nicht nur jeden Kilometer (15470)
und jede Stunde auf dem Rad (951), sondern auch jeden ausgegebenen
Dollar (4634). „Man muss aufpassen, dass man aus dieser Denke
raus kommt, sonst fällt man vom Sattel“.
Etwa zehn Extremradler traf er unterwegs, meist Männer jenseits
der 30, alle keine Weltflüchter oder Eremiten und keine einsamen
Steppenwölfe, sondern Menschen, die an ihre Grenzen gehen.
Immer wieder legte er Strecken gemeinsam mit anderen Radlern zurück.
Mit dem Schweizer war er drei Monate unterwegs.
Seit einer Woche ist Kühnl zurück in Potsdam, zu früh,
so dass der Untermieter noch in seiner Wohnung ist. Nichts als Bürokratie
habe er hier vorgefunden, stöhnt er, wie vor der Abreise. Jetzt
sichtet er Fotos – für eine Dia-Show vielleicht. |